Wie richtiges Verhandeln in allen Lebensbereichen Mehrwert schafft
Egal ob es am Esstisch darum geht, die Kinder zum Gemüseessen zu bewegen, im Gespräch mit Kollegen unterschiedliche Meinungen auszugleichen oder mit Vertragspartnern unvereinbare Positionen zu überbrücken - die Anwendung der richtigen Verhandlungstechniken ist stets entscheidend.
Désirée Kienast, Chapter Lead Negotiation bei der co:nufactur, weiß, wie Verhandlungen für beide Parteien positiv und erfolgreich verlaufen können.
Hallo Desirée! Du leitest bei der co:nufactur das Chapter "Negotiation”. Wie kommst du zu diesem Thema?
D: Negotiation ist für mich schon seit dem Studium ein sehr spannendes Thema, das bereits mein gesamtes bisheriges Berufsleben über eine zentrale Rolle spielt. Als Einkäuferin bei Amazon und anderen großen Handelsunternehmen stand ich täglich in Verhandlungen mit Lieferanten, aber auch mit internen Stakeholdern in Projekten oder mit anderen Abteilungen. Besonders Vertragsabschlüsse mit neuen Partnern oder kritische Gespräche über die Fortsetzung einer Zusammenarbeit erfordern ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse und Interessen der Gegenseite. Das Lösen dieser oft komplexen Situationen durch effektive Kommunikation, Empathie und Verhandlungsgeschick, fasziniert mich sehr als Verhandlungstrainerin.
Was inspiriert dich am Thema Verhandlung?
D: Mich inspiriert vor allem die Chance, durch richtiges Verhandeln eine bessere Lösung als den Status-Quo zu erzielen– und zwar für beide Seiten. Und diese bessere Lösung für beide gibt es eigentlich immer! Meistens ist es im Nachhinein für beide Seiten überraschend, wie positiv ein Verhandlungsausgang ist. Ich hatte früher zum Beispiel mal die Situation, dass ein Lieferant uns nicht mehr beliefern wollte, weil ihm die Kosten zu hoch und der Umsatz zu niedrig war. Als wir uns dann aber gründlich mit den Pain-Points beider Seiten auseinandergesetzt haben und richtig darüber verhandeln konnten, gab es plötzlich eine Lösung, die für beide Parteien sogar vorteilhafter war als davor.
Welche grundlegenden Prinzipien oder Strategien sind deiner Meinung nach für erfolgreiche Verhandlungen immer wichtig?
D: Ein grundlegendes Prinzip, das immer zu positiven Vertragsabschlüssen führt, ist das Win-Win Prinzip. Verhandlungspartner agieren gemeinsam als Problemlöser und analysieren und diskutieren die bestmöglichen Optionen, um zu einer klugen Lösung zu kommen, die für beide Seiten vorteilhaft ist. Außerdem halte ich es strategisch für wichtig, schon frühzeitig vor einer Verhandlung in die Vorbereitung zu gehen und mögliche Szenarien zu durchdenken, um sich verschiedene Optionen offen zu halten. Es gibt meist nicht immer nur einen Weg das Ziel zu erreichen. Offenheit und Flexibilität sind aus meiner Sicht ebenso wichtige Prinzipien, um erfolgreich zu verhandeln. Ein zu starres Verharren auf der eigenen Position führt meiner Ansicht nach zu nicht optimalen Ergebnissen und lässt oftmals Verhandlungen unnötig scheitern.
Wie kann das Verständnis von Verhandlungstechniken in anderen Aspekten des Berufs- und Privatlebens hilfreich sein, abgesehen von offensichtlichen Szenarien wie Gehaltsverhandlungen?
D: Verhandlungstechniken kann man in so ziemlich jeder Situation, ob beruflich oder privat, anwenden. Es geht ja immer darum, dass ein Konflikt besteht oder zumindest ein Problem gelöst werden soll. Im privaten Bereich gibt es da unzählige Beispiele, wie die Auswahl eines Restaurants, die Wochenendplanung oder das richtige Verhandeln bspw. beim Autokauf. Im beruflichen Bereich werden das Gehalt, die Verteilung der Aufgaben und Ressourcen in einem Projekt oder die Festlegung von Prioritäten und Zeitplänen verhandelt.
Hauskauf, Autokauf, Debatten bei Eigentümerversammlungen, Elternabenden oder Erbengemeinschaften sind weitere Beispiele für Situationen im Leben, in denen Verhandlungskompetenz äußerst gefragt ist. Natürlich trifft man auch im Beruf auf kritische Situationen außerhalb der Gehaltsverhandlungen, wie z.Bsp. Beförderungen, Freistellungen oder Aufhebungsverträge.
Eine gute Problemlösungskompetenz ist somit in jedem Lebensbereich vorteilhaft. Wenn man gewisse grundlegende Prinzipien der Verhandlungsführung in seine Gespräche einfließen lässt, steigen die Chancen darauf, eine beidseitig vorteilhafte Einigung zu erzielen.
Kannst du uns ein Beispiel für eine erfolgreiche Verhandlung geben, das zeigt, wie die gleichen Prinzipien auf verschiedene Lebensbereiche angewendet werden können?
D: Angenommen, du planst einen Urlaub mit Freunden und ihr müsst euch auf ein Reiseziel einigen. Hierbei lassen sich einige Verhandlungsprinzipien ebenso anwenden wie im beruflichen Kontext:
- Klärung der Interessen: Genauso wie bei einer Verhandlung über eine mögliche Investitionssumme, ist es hier wichtig zu klären, wer eigentlich welche Interessen verfolgt (Bspw. Action, Entspannung, Wellness).
- Schaffen von Optionen: Um mehr Möglichkeiten für eine Einigung zu finden, ist es wichtig, verschiedene Optionen auf den Tisch zu bringen. (Bspw.: verschiedene Ziele in unterschiedlichen Ländern, Ziele am Meer, Ziele in den Bergen oder an Seen).
- Offene und klare Kommunikation: Im privaten, wie auch im beruflichen Kontext ist es wichtig, das Problem von den Menschen zu trennen und den Fokus auf die Problemlösung zu halten. (Das bedeutet bspw., dass man sich gegenseitig keine Vorwürfe macht, sich niemand beleidigt ausklingt oder man sich anschreit)
- Zuletzt das Prinzip des Gebens und Nehmens: Man gibt etwas auf, um etwas anderes dafür zu bekommen. (Bspw.: die Gruppe will sich auf Aktivurlaub in den Bergen einigen, obwohl du Entspannung am Meer suchst. Angebot zur Einigung, auf Meer zu verzichten, unter der Voraussetzung, dass ein Hotel mit Wellness-Angebot in den Bergen ausgewählt wird.)
Mit diesen einfachen Prinzipien kann nicht nur der Urlaub, sondern auch eine Diskussion mit Kollegen über die Verantwortlichkeiten in einem Projekt verhandelt werden.
In welchen Situationen haben Menschen oft Schwierigkeiten, effektiv zu verhandeln, und welche Tipps könntest du geben, um diese Herausforderungen zu überwinden?
D: Wenn Menschen unter hohem Druck stehen, weil sehr viel vom Ergebnis abhängt oder wenn sie in einer Verhandlung auf einen ungehaltenen Verhandlungspartner treffen, sehen sie sich in einer Zwangslage und verhandeln höchstwahrscheinlich kein gutes Agreement. Hier ist mein Tipp, zunächst den Druck zu lösen, durchzuatmen und sich wieder auf die eigenen Ziele zu fokussieren: Im Fall des schwierigen Verhandlungspartners ist es wichtig den Lead nicht aufzugeben und nicht zu passiv zu werden, sonst kann die Dynamik schnell umschlagen und die eigenen Ziele geraten außer Acht. Sollte das Gespräch nicht wieder in professionelle Bahnen zurückzuführen sein, hilft es auch eine Pause zu machen oder einen neuen Verhandlungsführer zu bestimmen.
Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, Empathie und emotionale Intelligenz in Verhandlungen einzusetzen, und wie kann man diese Fähigkeiten stärken?
D: Empathie und emotionale Intelligenz sind aus meiner Sicht entscheidende Fähigkeiten in der Verhandlungsführung. Es ist essentiell, dass der Verhandlungspartner sich verstanden und gehört fühlt, um offen für mögliche Lösungen zu sein. Natürlich besitzt nicht jeder Mensch gleich viel emotionale Intelligenz, allerdings lässt sich Empathie stärken, indem man übt, aktiv zuzuhören und wiederzugeben, was der andere gesagt hat. Um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, braucht es wieder offene Kommunikation und Mitgefühl. Insgesamt kann man Empathie stärken, indem man sich mehr mit dem Gegenüber auseinandersetzt und auch einmal dessen Perspektive einnimmt.
Welchen Rat würdest du als Verhandlungstrainerin Personen geben, die sich in ihrer Verhandlungsfähigkeit verbessern möchten, unabhängig davon, ob sie beruflich oder persönlich anwendbare Fähigkeiten entwickeln wollen?
D: Wir haben unterschiedliche Verhandlungstrainings und bieten auch individuelle Coachings und Beratung an.
Richtig Verhandeln lässt sich außerdem sehr gut im Alltag üben. Bspw. im Gespräch mit dem Partner, den Freunden, Kollegen oder auch den Kindern. Es ist überraschend, wie oft man im täglichen Leben verhandelt. Man kann auch mal in einem Geschäft nach einem Rabatt fragen, um zu testen, wie man mit einem “Nein” umgeht oder um herauszufinden, wie es vielleicht doch möglich ist, einen Nachlass zu bekommen. Wichtig ist es, wie bei einer Sprache, immer dranzubleiben.